Janosch – was macht ihn aus?
Ein Gespräch zwischen dem Verleger Hans-Joachim Gelberg, früher und langjähriger Wegbegleiter von Janosch, selbst Kinderbuchautor und Lyriker, und dem Vorsitzenden der Janosch Gesellschaft e.V., Dr. Ulrich Kypke zu Janoschs 85. Geburtstag.
Ulrich Kypke: Janosch fing erst mit ungefähr 30 Jahren an, Geschichten für für Kinder zu schreiben. Er ist geprägt von schwierigen und schrecklichen eigenen Kindheits-Erfahrungen. In allen seinen Geschichten spürt er bis heute seinen Träumen und aber auch seinen bitteren Erfahrungen aus seiner eigenen Kindheit nach. Was machen seine Geschichten mit Kindern?
Hans-Joachim Gelberg Das sind ja inzwischen mehrere Generationen von Kindern. Und man kann bis zum heutigen Tag sagen, dass Janoschs Geschichten einen Kinderblick haben – die Welt wird mit kindlichem Verständnis erlebt. Das bedeutet viel Fantasie, man kann fliegen, man ist stark und man kann mit den Tieren reden. Das ist ein Thema der Poetik. Janosch hat das in seinen Geschichten sehr direkt und sehr aus seinem tiefen Verständnis heraus gestaltet.
Uky Wir kommen darauf noch zurück. Sie kennen Janosch seit den 50er Jahren in München. Janosch war in seiner Kindheit ja geprägt von seinen eigenen schlimmen Kindheitserfahrungen. Haben Sie darüber auch mit ihm gesprochen?
H-J.G Ja, diese Erlebnisse in der Kindheit waren für Janosch der Anstoß für sein Buch Cholonek oder der Liebe Gott aus Lehm. Ich war Ende der 50er, Anfang der 60er Jahre, Buchhändler. Dort fiel er mir zuerst auf. Ich liebte schon damals seine ersten Bilderbücher, die er beim Verlag Lenz herausbrachte. Das waren Geschichten wie die von Valek dem Pferd oder Der Josa mit der Zauberfiedel. Diese Bilderbücher beeindruckten mich. Aber sie verkauften sich schlecht. Damit hatte ich Schwierigkeiten. Ich selber aber mochte seine ersten Bücher sehr und habe angefangen, mich mit Janosch intensiver zu befassen. Ich habe ihn des öfteren besucht in einem kleinen Häuschen an einem See in Bayern.
Als ich dann Lektor bei dem kleinen Paulus Verlag wurde, haben wir viel miteinander geredet. Dabei habe ich ihn langsam weggelockt von dem damaligen Verlag, bei dem Janosch inzwischen war, dem Dominobuchclub.
Wir haben dann angefangen, selbst miteinander Bücher zu machen. Das erste Buch war nach meiner Erinnerung Leo Zauberfloh im Jahr 1966 mit dem Paulus Verlag. Den Namen hatten wir allerdings bald gewechselt, denn mit “Paulus” konnte man ja nur katholische Kinderbücher verkaufen. Aus dem Paulus Verlag wurde der Georg Bitter Verlag. Die Zusammenarbeit brachte uns immer näher.
Ich habe ihn öfter in München besucht oder in seiner Hütte am See. Er kam mit der Idee, dass er über seine Kindheit schreiben wollte und ich habe ihn sehr darin bestärkt. Ich bekam dann die ersten 80 Seiten von ihm. Das war die Geschichte vom Cholonek, 80 Seiten, eine erste Fassung. Da war seine Kindheit drin. Darüber haben wir viel gesprochen. Ich hab ihm gesagt, dass das ja vielleicht doch nur der Anfang ist. Ich habe ihn bestärkt, weiter zu schreiben. Ich habe ihm im Nacken gesessen, und in der Schlussphase habe ich in München im Hotel gesessen und Blatt für Blatt entgegen genommen. Mittlerweile war das Cholonek Thema so an die 200 Seiten angewachsen, und es gab drei Fassungen.
Ich habe praktisch mit der Schere aus allen Fassungen etwas zusammen getragen und neu zueinander gebracht, dass aus den drei Fassung zuerst zwei wurden. Die holte der Autor sich bei mir ab und nachts schrieb er dann, korrigierte und erstellte eine vierte Fassung. Das war das Endprodukt von Cholonek. Es war ein ganz langer, intensiver Prozess, der mich natürlich auch ganz nahe an seine Kindheitserlebnisse heranbrachte.
Uky Das bringt mich zu einer weiteren Frage. Dieses erste große Werk hatte zum Thema Kindheit, Vater, Mutter und Kirche. Die Perspektive war ein Blick zurück voll Traurigkeit, Schrecken und Sehnsucht. Und es ging um die nachbarschaftlichen Beziehungen in diesen sehr komplizierten Kriegs- und Nachkriegszeiten. Das alles hat ihn ja offensichtlich sehr bewegt. Ist alles, was Janosch Ihnen erzählt hat, in “Cholonek” eingeflossen oder gab es auch Dinge, die außen vor blieben?
H-J.G Was ich von ihm wusste, ist in Cholonek drin. Natürlich verändert und manches vielleicht auch verharmlost. Das Buch Cholonek hat seinen Reiz in der Hajek`schen Form und der Schwientek Form: Da ist das Naive: die Welt schön finden und darüber lachen können, aber im Grunde ist alles furchtbar traurig. Das ist, was der Hajek mit dem Schwientek macht. Davon hat Janosch Einiges.
Uky Hat Janosch mit Ihnen über die politischen Verwerfungen in seiner Familie und in der weiteren Nachbarschaft gesprochen? Offensichtlich war er schon früh anders als sein Vater orientiert. Janosch hatte ja schon als Kind und Jugendlicher nichts mit den Nazis am Hut. Das war für ihn Unangenehmes oder etwas, wovor man sich fürchten musste.
H-J.G Er hat das eigentlich nicht thematisiert, jedenfalls nicht bei mir. Er hat die Gabe, etwas beiseite schieben zu können. Vieles hat er in seine Bilder getan und wenn man seine späteren Grafiken sieht, die sich mit der Kirche auseinandersetzen, dann weiß man, was er da ausgetragen hat. Ich glaube, dass Janosch seine Empfindungen über die Themen und Farben seiner Bilder transportiert.
Über politische Dinge haben wir nie direkt miteinander gesprochen, z.B. darüber, dass sein Vater für ihn ein Nazi war. Janosch konnte Dinge sehr gut beiseite schieben. Im Cholonek hat er geschildert, was aus seiner Sicht zu den Gegebenheiten und seinem Leben, seiner Kindheit, zu sagen war. Die Schlussfolgerungen werden dem Leser überlassen.
Die Hintergründe und Zusammenhänge wurden in der aktuellen Biografie von Angela Bajorek* gut recherchiert und sehr fein herausgearbeitet.
Uky Zurück zu Ihrer verlegerischen Arbeit mit Janosch. Ich habe Cholonek auch mit Faszination schon vor vielen Jahren und jetzt wieder gelesen. Dieses Buch entstand ja neben oder geradezu außerhalb von den Kinderbüchern – sie haben Cholonek im Georg Bitter Verlag 1970 neu herausgebracht. In rascher Folge haben Sie parallel eine Reihe von Janosch-Kinderbüchern veröffentlicht. In diesen Büchern entwickelte sich das, was bis heute Bücher von Janosch so unverwechselbar macht.
1982 haben Sie Cholonek in der Edition Beltz & Gelberg als Einzelwerk außerhalb der Reihe von Kinderbüchern neu aufgelegt. Warum dieses einzige Werk zwischen den vielen anderen, vom Stil her schwer auf eine Linie zu bringenden Werken?
H-J.G Das Wichtigste ist zunächst einmal der Autor. Was er schreibt, kann verschiedene Gruppen ansprechen. Schon bei der Erstausgabe des Cholonek im Georg Bitter Verlag gab es ein Verlagsprogramm, das Belletristik machte, aber auch mit Autoren der Gruppe 61 Werkbücher herausbrachte. Ich selbst habe als Lektor zunächst Günter Wallraff betreut, der damals anfing zu schreiben, und hatte verschiedene Romane im literarischen Programm. Da war es für mich ganz selbstverstänlich, den Cholonek mit hinein zu nehmen, und nicht als Kinderbuch. Ich hatte da freie Hand und volle Befugnis für meinen Bereich und habe natürlich auch Literatur über das Kinderbuch hinaus gemacht.
Ich bin heute noch der Meinung, dass ein Kinder- oder Jugendbuch so gut sein muss, dass es auch Literatur für Erwachsene ist. Ein gutes Kinderbuch muss die Qualität haben, dass es ein Erwachsener mit Genuss und Einsicht liest.
Ich habe in meinen Anthologien Erwachsenenliteratur herausgebracht , die nie als Kinderbücher gedacht waren. In dem Moment, in dem ein Kind ein Buch wahrnimmt, es liest, wird es zu einem Text für Kinder, zu Kinderliteratur.
Uky Verglichen mit Janoschs Kinderbüchern wie Lari Fari Mogelzahn oder Jeden Abend eine Geschichte, die immer eine Ganzheit von Text und Bild sind, empfand ich Cholonek fast als eine Art Kontrastprogramm. Es fiel thematisch heraus.
H-J.G Ja, der Titel fiel schon gegenüber der Kinderbuchreihe heraus. Das ist ganz klar, aber es gehörte zu ihm als Autor. Und das war mir wichtig.
Ein anderes Beispiel dafür war das Buch Janosch erzählt Grimms Märchen. Es war eine Auftragsarbeit bzw. eine Anregung von mir, die Janosch gerne übernommen
hat. Ich habe mich damals intensiv mit den Gebrüdern Grimm und Märchen befasst und war der Meinung, man müsse dem herkömmlichen Märchenerzählen etwas anderes gegensetzen. Das war für mich eine lange Geschichte, und dabei war Janosch für mich ganz wichtig. Janosch hatte Lust, sich 50 Märchen auszuwählen und neu zu erzählen. Diese Neuerzählung von Hans im Glück und den anderen Märchen erschien im orangenen Gewand als Kinderbuch. Wenn man sich dies Buch genau anschaut, dann ist die Mehrzahl dieser neue Erzählungen von Märchen ja richtig großartige Literatur, weit über das Kinderbuch hinaus.
Uky Ich komme noch mal zurück auf Janoschs in der Kindheit erlebte Traumata. Er lebte, wie wir schon angesprochen haben, als Kind und als junger Mensch in diesem zerrissenen und umkämpften Grenzgebiet zwischen Polen und Deutschland. Mich interessiert, was sie eben als “etwas verdrängt” bezeichnet haben, wie Sie die Nachwirkungen, die Traumata, die Janosch wohl durch sein Leben mitgeschleppt haben mag, einschätzen. Diese “Steine auf seiner Seele” kommen indirekt auch in anderen Büchern vor, z.B. im Roman Sandstrand. Und das unabhängig davon, zu welcher Zeit Janosch das jeweilige Werk geschrieben hat.
Haben Sie da als Lektor, als Verleger, mal nachgehakt, denn ich glaube, Janosch hätte uns in dieser Hinsicht aus seiner Jugend noch eine Menge mehr erzählen können.
H-J.G Ich weiß nicht, ob er dazu wirklich bereit war. Ich glaube eher nicht, und das muss man auch so akzeptieren. Janosch war und ist als Autor immer sehr eigenständig gewesen. Er hat immer wieder neue Themen entdeckt.
Einen großen Einfluss auf sein Leben und seine Arbeit hatte die Zeit, als der Erfolg wie eine Flutwelle über ihn kam. Das begann 1978, als Die Maus hat rote Strümpfe an erschien – auch eine Idee eigentlich von mir – und dann zur gleichen Zeit im selben Jahr als großer Durchbruch Oh wie schön ist Panama.
In dieser Zeit und in den folgenden Jahren überspülte Janosch der Erfolg dermaßen, dass er sich auch gar nicht mehr anders orientieren konnte für eine lange Zeit. Er hat dann später mal gesagt, dass er aus diesem Panama Tümpel gar nicht mehr rausgekommen sei.
Janosch hat auch in dieser Zeit wunderschön weiter geschrieben und gemalt dazu. Und dazu kam dieser Riesenerfolg mit weiteren Produkten. Überall waren der kleine Bär und der kleine Tiger usw. Man darf nicht unterschätzen, was das mit einem Autor macht, wie es ihn gefangen nimmt. Der Erfolg ist etwas Wunderbares, aber er kettet einen Autor auch an eine Sache und lässt ihn dann nur schwer los. Es entwickelt sich eine eigene Logik des Tuns. Die Folge davon war, dass Janosch in diesen Jahren nur schwer erreichbar war für eine andere Thematik.
Uky Ich denke, diese Phase wurde zu Beginn der 90er Jahre doch allmählich aufgebrochen. 1991 habe ich Janosch als damaliger Manager einer Kinder-Umwelt- Initiative mit seinen künstlerischen Beiträgen für das Thema Umwelt gewinnen können. Janosch hat dafür die Figurengruppe Emil Grünbär und seine Bande entwickelt und vielfältig in Wort und Bild ausgestaltet. Wir haben mit seiner Beteiligung bis Ende der 90er Jahre interaktive Kinder-Umwelt-Tourneen in ganz Deutschland und in Südamerika durchgeführt. Ein Höhepunkt war Janoschs Mitwirkung an einer Großaktion auf der Weltausstellung 1992 in Sevilla. Bei diesen Umweltaktionen hatte ich das Gefühl, dass sie für Janosch stimmig und wichtig sind.
Kommen wir zurück zu dem, was sie als Lyriker sagen. Janosch hat ja eine sehr eigene Sprache, nach meinem Verständnis lakonisch, traurig, verletzlich. Gleichzeitig voller Lebenslust und Lebenswut, und so äußert er sich auch in seinen Briefen. Was macht seine Sprache mit den Lesern, ob erwachsen oder jung. Können Sie das auf den Punkt bringen?
H-J.G Um das auszudrücken, muss ich etwas ausholen. Janosch hat mit seiner Sprache eine neue Poetik geschaffen, die es in dieser Form meines Erachtens nicht gab. Ich habe als Lektor bei seinen ersten Texten, die ich bearbeitet und an denen ich lektoriert habe, zunächst gezweifelt, ob man das so machen kann. Vieles war ja grammatikalisch nicht ganz in Ordnung.
Nun haben Kinderbücher die verteufelte Aufgabe, es immer wieder den Pädagogen recht machen zu müssen. Und da hat Janosch ein Sprachbild geschaffen, das nicht pädagogisch angenehm war. Seine Poetik ist widerborstig, sie verkürzt und sie nimmt ein Fantasiegebilde auch bis in die Sprache mit. Das ist etwas, was heute entzückt und was die Leute begeistert, aber damals am Anfang habe ich zunächst sehr gestutzt. Ähnlich ist es mir mit Christine Nöstlinger gegangen mit ihrem wienerischen Dialekt. Mein Versuch, daran etwas glätten oder verändern zu wollen, ist ist total gescheitert und wurde alles wieder zurückgenommen
Zu dem Beispiel sei angemerkt: Janosch – den Mann muss man so schreiben und dichten lassen, wie er das macht. Diese Poetik, die er in seinen Texten hat, spiegelt sich auch in seinen Figuren wider. Die Figuren leben in den Texten. Er schafft etwas und gibt es seinen Figuren in einer Weise mit, die andere Autoren so nicht bringen können. Einige Autoren versuchen, dies nachzuahmen. Aber bei Janosch ist das alles Original, es ist alles neu geschaffen und aus einer tiefen inneren Kindheitsquelle gekommen.
Uky Wenn man Janosch fragt, dann sagt er stets, vielleicht um Nachfragen abzuschneiden, das Bücher schreiben habe er nur nebenbei betrieben, weil er Geld brauchte. Sein eigentliches Ich sei, Bilder zu malen. Blickt man auf sein gewaltiges bisheriges Lebenswerk, sagt dies etwas anderes.
H-J.G Ich habe mich oft gewundert. Janosch ist eigentlich ein Maler, ein Zeichner. Dass er zur Sprache gefunden hat, war ein langer Weg. Entscheidend für seine Entwicklung hin zum Schreiben war aus meiner Sicht der Cholonek. Heute ist er als Zeichner und als Grafiker allererste Sahne sozusagen. Nur, dass er bis heute nicht “museal” geworden ist. Ich selbst bin Besitzer eines seiner wenigen Ölgemälde, das Hochzeitspaar. Das habe ich ihm damals abgekauft für wenig Geld.
Unter Kennerkreisen werden Janosch Grafiken gesammelt und verkauft. Es sind große Zahlen von Bildern und Grafiken. Die Breite seines bildkünstlerischen Schaffens ist bisher kaum erkannt. Ich habe den Eindruck, die Kunstwelt hat gar keinen wirklichen Bezug zu seinem zeichnerischem Werk. Auch die Biografin Angela Bajorek nimmt fast gar keinen Bezug darauf, obwohl es riesig ist.
Uky Das Gesamtwerk von Janosch ist noch weitgehend unbekannt. Die Janosch film & medien AG hat seit Ende der 90er Jahre Illustrationen und Grafiken und andere Bildwerke in recht großer Zahl zusammengetragen, die im Bilderbuchmuseum in Troisdorf bei Köln lagern und für Ausstellungen leihweise zur Verfügung stehen.
In den letzten Jahren hat Janosch wieder viele Bildwerke geschaffen. Er hat in ganz anderen, neuen Stilformen gemalt. Für mich sind das weitere Hinweise auf seine ungebrochene Lebens-Sehnsucht, aber auch Lebens-Wut. Mit seinem Hadern, seinem Glücklich- und Verzweifeltsein. Und das, scheint mir, alles gleichzeitig.
H-J.G Janoschs Problem ist, dass man ihn immerfort und weiterhin nur reduziert sieht als Kinderbuchautor, auch jetzt an seinem 85. Geburtstag wird das wieder deutlich.
Tatsächlich ist Janosch ein großer Grafiker, und zwar in der Qualität etwa eines Christoph Meckel, dem er ebenbürtig ist. Das verdient, entsprechend gewürdigt zu werden. Das Werk von Janosch ist noch nicht wirklich entdeckt. Das wünsche ich ihm zu seinem 85. Geburtstag.
Uky Ein Anfang dieser Entwicklung, das gesamte Schaffen und die umfassende Bedeutung des Künstlers und Autors auch in die öffentliche Wahrnehmung zu bringen, ist die Tagung am 11. und12. März im polnischen Zabrze, dem Geburtsort Janoschs – damals hieß die Stadt vorübergehend Hindenburg.
Die Biografin von Janosch, Angela Bajorek, hat sich mit der von ihr initiierten Tagung diesem anderen, authentischen Janosch zugewandt. Unter dem Titel “Sprachliche Wurzeln der Identität – vom Glück Janosch gekannt zu haben”, wird versucht, ausgehend vom Lebensbild und der Zerrissenheit der polnisch-deutschen Grenzregion vor, während und nach dem Kriegsende im Rückspiegel des Buches Cholonek die zwischenmenschlichen Rückwirkungen und Verwerfungen dieser schrecklichen Zeit sprachlich heraus zu destillieren.
Wir wollen die Persönlichkeit von Janosch, das gesamte bisherige, vielschichtige Lebenswerk besser verstehen und mithelfen, dies auch in die breite Öffentlichkeit zu vermitteln. Zu diesem Zweck habe ich mit anderen Menschen aus dem weiteren Umfeld des Künstlers und Autors die Janosch Gesellschaft e.V. als bewusst nichtkommerzielle Einrichtung, als gemeinnützigen Verein gegründet.
H-J.G Da wünsche ich ihm gerade zu seinem neu begonnenen Lebensjahr weiterhin Kraft und Schaffenslust.
Uky Gibt es aus Ihrer Sicht etwas wie eine literarisch-künstlerische Idee für das umfangreiche, lebenslange Schaffen von Janosch? Oder schlicht gefragt: Was bleibt von ihm?
H-J.G Es geht mit Janoschs Kunst wie mit aller Kunst. Sie bleibt eine gewisse Zeit und dann wird sie Bodensatz. Natürlich bleibt viel von Janosch, lange, lange Zeit. Aber es entsteht in jeder Zeit, in jeder Generation, neue Kunst und andere Kunst.
Was mich stört, ist, dass Janoschs Werkschaffen nur teilweise wahrgenommen wird. Wie fast alle Kinderbuchautoren, ist er auch poetisch unterwegs, macht Verse, schreibt Gedichte und einige seiner Gedichte sind nicht schlecht. Sie sind bewusst sehr naiv und sehr direkt, aber sie haben einen Klang, eine Melodie und eine Ehrlichkeit.
Dass das alles nicht in die Lücke unserer öffentlichen Wahrnehmungen reinfindet, verstehe ich nicht. Man kann alle Anthologien aufschlagen, über die Sammlung mit moderner Lyrik, wo alle möglichen Poeten drin sind. Aber da findet man weder einen Guggenmos noch einen Janosch.
Die poetischen Arbeiten von Janosch werden einfach noch nicht wahrgenommen und das ist, finde ich, sehr traurig. Unsere große Literatur, um das mal so zu bezeichnen, hat keinen Bezug zur kleinen Literatur; große und kleine Literatur finden nicht zusammen. Das ist verkehrt, das ist schade. Denn es ist beides Literatur. Unsere Fachjournalisten oder Herausgeber müssten das eigentlich erkennen.
Uky: Herr Gelberg, ich danke Ihnen für das Gespräch.
Das Gespräch fand am 4. März 2016 statt.
* Angela Bajorek: “Wer fast nichts braucht, hat alles: Janosch – die Biographie”