“Seid furchtlos!”
TV Hören und Sehen, 21.09.01
Er ist der Vater der Tigerente und der erfolgreichste Kinderbuchautor der Welt. Wir sprachen mit Janosch (70) exklusiv über Kinder, Eltern und den Sinn des Lebens.
Janosch, Sie leben seit über 20 Jahren auf den Kanaren. Was fällt Ihnen auf, wenn Sie heute nach Deutschland kommen?
Wie deutsche Eltern zu ihren Kindern sind. Wissen Sie, was typisch ist?
Eine Mutter oder ein Vater geht über die Straße – und schiebt zuerst den Kinderwagen in die Gefahr. Wenn jetzt ein Auto heranrast – wen erwischt es? Das Kind! Das ist doch unmöglich. Die Eltern denken: Mein Kind ist der Rammbock fürs Leben!
Ist es gut, Kinder zu haben?
Zu haben! Da steckt schon der Fehler!”Ist es gut, Kind zu sein?” Das wäre die richtige Frage! Und die stelle ich Ihnen.
Möchten Sie gerne ein Kind sein?
Na ja, für viele war das die schönste Zeit des Lebens….
…ach, das stimmt doch überhaupt nicht! Man wird gezwungen, zur Schule zu gehen, muss seine Eltern ertragen…
…was würden Sie den Kindern denn heute mit auf den Weg geben?
Seid furchtlos! Gegenüber dem Leben – und gegenüber euern Eltern.
Brauchen Kinder denn keinen Respekt vor den Eltern?
Doch! Aber echten Respekt! So etwas kann man nicht verordnen. Die Eltern müssen sich so benehmen, dass der Respekt von selbst kommt. Wissen Sie, ich habe Ende der 70er Jahre gesehen, wie Kinder mit ihren Stiefeln über Autos gelaufen sind. Die konnten machen, was sie wollten. Und die Eltern standen daneben. Später sind diese antiautoritären Kinder
dann nach Indien zu Bhagwan gerannt. Der hat ihnen die Autorität gegeben, nach der sie sich gesehnt haben. Gegeben Bezahlung, natürlich.
Hatten Sie eine glückliche Kindheit?
Nein. Es war grauenhaft. Wenn ich meine ersten 13 Jahre noch einmal durchlaufen müsste als Preis für mein ganzes Leben, dann wäre ich lieber nicht geboren. Und das meine ich ernst!
Und warum haben Sie dann Kinderbücher geschrieben und gemalt?
Ich musste überleben, mir etwas zu essen kaufen. Viele wollen das nicht hören, aber ich bin kein Maler aus Leidenschaft. Ich bin ein Maler aus Notwehr.
Könnte es sein, dass Sie Kindern helfen wollen? Damit sie nicht dieselben schlechten Erfahrungen machen müssen wie Sie?
Keinesfalls. Man muss durch dieses Unheil durchgehen. Ich kenne keinen Menschen, dem’s immer gut ging und der das Leben dann gepackt hätte. Die meisten Menschen, so sehe ich das zumindest, haben irgendwann eine Krise, bei der es um Leben und Tod geht. Da wird das Haus des Lebens völlig zertrümmert. Dann kommt es darauf an: Lassen sie die Trümmer liegen, gehen daran zu Grunde? Oder bauen sie noch mal was Neues auf, fangen ein zweites Mal von vorne an? Wem das gelingt, der hat’s gepackt.
Hatten Sie eine solche Krise?
Ja. Ich war 49 und so krank, dass ich vor Schmerzen kaum laufen konnte. Da habe ich alles genommen, was ich besaß, auch alle Zeugnisse, Papiere, Unterlagen fürs Finanzamt – und hab’s verbrannt. Ein Riesenfeuer war das. Nur mit einer Tasche ging ich nach Teneriffa. Und mit einer Krankenschwester, die mir Spritzen gegen die Schmerzen geben musste.
Seit diesem Tag geht es mir so gut wie nie zuvor. Ich bin heute gesünder als mit 18. Nach meiner Ansicht. Der Arzt sagt etwas anderes, aber was weiß der schon…?
Sie haben es damals also geschafft, ihr altes Leben loszulassen?
Nein, das ist anders. Man muss echt aufgeben. Man muss bereit sein, jetzt, in diesem Augenblick zu sterben. Erst dann hat man gewonnen. Ich weiß noch genau, wie ich mit dieser letzten Tasche losgezogen bin und dachte: “Na gut, wenn es nicht sein soll, dann ist das okay.” Das mache ich jetzt immer noch.
Sie haben keine Angst vor dem Tod?
Ehrlich gesagt: doch. Aber was bleibt mir übrig?
Interview: Jochen Metzger
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